Innovationen in der Medizinischen Chemie: Der Schlüssel zu ungelösten Krankheiten
Jürgen Mack, Vice President Medicinal Chemistry
Darryl McConnell, Senior Vice President and Head of Research Site, Austria
Recent innovations in the field of medicinal chemistry have given us new avenues for drug development. To describe the work of our medicinal chemists we use the image of the "molecular locksmith". The aim of this is to identify locks – i.e. points of attack – in the disease-causing proteins and to develop the most precise key possible in the form of drugs.
The analogy of the key and lock, which the German chemist Emil Fischer drew up more than 120 years ago, is still relevant today. However, today's keys have to be much more intelligent in order to do justice to the complexity of the diseases.
Structure-based drug design:
The future of drug development
The potency of a drug depends on how well the key fits into the lock – i.e. the drug fits into the binding site of the protein. To design a suitable key, our medicinal chemists must study at the atomic level what happens inside the lock once the key closes. In this context, we speak of the principle of structure-based drug design. By looking at exactly how a potential drug candidate binds, atom by atom, we can find out which atoms are a perfect match. This makes it possible to very precisely identify molecules that will be the most important target molecules for us from this point on.
Through the process of structure-based drug design, we have made important advances in research - particularly in the oncology area. Through this process, we were able to identify important targets for KRAS, a key driver of the most common and at the same time most difficult-to-treat cancer types. The challenge with this protein is that its two "locks" are very superficial and at the same time very different. To finally make progress against KRAS, we took structured drug design to a new level and were able to identify the KRAS inhibitor BI-2852 using three-dimensional “lock and key” structures.
Precise images for precise drug design
Um die Möglichkeiten des strukturierten Wirkstoffdesigns auszuschöpfen, gibt es verschiedene bildgebende Verfahren, durch die sich die „Schloss-Schlüssel-Struktur“ abbilden lässt. Hierbei handelt es sich um die Kernspinresonanzspektroskopie (NMR), die Röntgenkristallographie sowie die Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM).
Um die für die Röntgenkristallographie erforderlichen Kristallstrukturen zu erhalten, wird hochreines Protein benötigt. Dieses wird aus Bakterien-, Hefe-, Insekten- oder Säugetierzellen gewonnen. In einem Kühlraum führen wir mithilfe von Robotern verschiedene Testverfahren durch, bis wir einen perfekten Proteinkristall gezüchtet haben. Anschließend wird dieser mit Röntgenstrahlen beschossen, um die Position der Elektronen genau zu lokalisieren. Computeralgorithmen wandeln diese Datensätze in Atompositionen um, die zum dreidimensionalen Bild führen.
Die Röntgenkristallographie kann sehr gut bei kleinen oder starren krankheitsverursachenden Proteinen angewendet werden. Bei großen, flexiblen Proteinen sowie komplexen Strukturen, die mehrere Proteine enthalten, wird das neue Verfahren der Kryo-Elektronenmikroskopie angewendet. Diese nimmt 2D-Projektionen des Proteins mit einem Elektronenmikroskop auf, die anschließend zu einem 3D-Modell rekonstruiert werden. Zwar ist keine Züchtung von Kristallen erforderlich, jedoch müssen die Proben akribisch vorbereitet und in einer dünnen Schicht aus nichtkristallinem Eis aufbewahrt werden. Dieses wird mit flüssigem Stickstoff oder Helium auf sehr tiefe Temperaturen gekühlt.
Der „Zerstörungsansatz“ im Wirkstoffdesign
Kürzlich wurde eine neue Klasse von Wirkstoffmolekülen entdeckt, die die Palette innovativer Medikamente erweitert. Im Gegensatz zu den „klassischen Medikamenten“, die krankheitsverursachende Proteine ausschalten, baut diese neue Substanzklasse die Proteine vollständig ab. Diese "Zerstörer" sind so genannte PROTACs (Proteolysis Targeting Chimeras), die das natürliche Abbausystem der Zelle kapern, um über diesen Weg krankheitsverursachende Proteine zu vernichten. Dieses Kapern der natürlichen Prozesse ist ein neuer und vielversprechender Ansatz, Wirkstoffmoleküle zu entwerfen und ist auf verschiedene Bereiche anwendbar.
Hat man das Bild des Schlossers vor Augen, muss dieser bei den neuen Substanzen einen „doppelten Schlüssel“ entwerfen. Einen für die Bindung an das krankheitsverursachende Protein und einen zweiten Schlüssel für die Bindung an das zelluläre System, das man kapern möchte.
Beschleunigung des Wirkstoffdesigns mit künstlicher Intelligenz
Ein Medikamentenmolekül muss nicht nur als Schlüssel perfekt ins Schloss passen, sondern darüber hinaus über fünfzig weitere Kriterien auf dem Weg zur Medikamentenentwicklung erfüllen. Dies erfordert nicht nur eine hohe Expertise, sondern auch viel Kapazität, da bestimmte Prozesse kontinuierlich wiederholt werden müssen. Bei Boehringer Ingelheim sind wir davon überzeugt, dass die jüngsten Entwicklungen im Bereich des maschinellen Lernens und der Künstlichen Intelligenz (KI) die Erforschung chemischer Substanzen und die Arzneimittelforschung insgesamt massiv beschleunigen können.
Als erfolgreiches Pharmaunternehmen mit jahrzehntelanger Erfahrung verfügen wir derzeit über mehr als 300 Millionen Datensätze. Für jedes Wirkstoffforschungsprojekt werden jede Woche hunderte von neuen Daten erfasst. Um die Herausforderung der modernen Arzneimittelforschung zu meistern, ist es zwingend notwendig, unsere Kreativität und wissenschaftliche Expertise um intelligente Algorithmen zu ergänzen. Diese sollen durchgängig große Datenmengen analysieren, Rückschlüsse ziehen und hieraus wissenschaftliche Hypothesen ableiten.
In der Vergangenheit haben medizinische Chemiker tausende von Molekülen entworfen, synthetisiert und getestet – größtenteils sequenziell – um das Potenzial jedes einzelnen Moleküls vollständig zu erfassen. Digitale Hilfsmittel und der Einsatz von KI haben das Potenzial, diese Prozesse zu verändern. So können wir mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz Millionen von Molekülen virtuell generieren und ihre molekularen Eigenschaften anhand von Computeralgorithmen vorhersagen. Durch diesen Vorgang ist es uns möglich, bereits die besten Moleküle für die Synthese im Labor auszuwählen.
By applying these new approaches and technologies to medicinal chemistry, we are able to develop new approaches to diseases previously thought untreatable. We will continue along this path in our research in order to develop innovative medicines that can change the lives of patients.