„Die Schweine geben uns etwas zurück“

Nicht nur Haustiere und ihre Besitzer haben eine einzigartige Verbindung zueinander. Auf eine etwas andere Art und Weise besteht sie auch zwischen Nutztieren und ihren Haltern, wie das Beispiel von Familie Henke zeigt. 

„Moin moin“ rauscht es aus der Freisprechanlage des Autos von Nadine und Heinrich Henke. Schon am frühen Freitagmorgen sind die beiden auf dem Weg zu einer Veranstaltung zum Thema Tierwohl; in die Anfahrtszeit passt noch ein Interview mit Boehringer Ingelheim. Der Landwirt und die Tierärztin besitzen mit den „Brokser Sauen“ eine Schweinezucht im niedersächsischen Bruchhausen-Vilsen – eine „Schweinehaltung mit Herz und Verstand“, wie sie ihren Betrieb selbst beschreiben. 

Herr Henke, Sie beide sind gerade unterwegs … kommt Ihr Betrieb denn auch ohne Sie aus?
Heinrich Henke:
Ja. Unser Tag beginnt derzeit auch eher mit unseren Kindern – 3, 4 und 6 Jahre – als mit den Schweinen (lacht). Ich bin zwar heute um fünf aufgestanden und in den Stall gefahren, um kurz nach dem Rechten zu sehen, aber: Wir haben das Glück, acht Mitarbeiter sowie drei Aushilfen zu haben, auf die wir uns zu 100 Prozent verlassen können.

Die Mitarbeiteranzahl lässt eine gewisse Größe Ihres Betriebs vermuten.
HH: Wir haben derzeit 1.250 Sauen, verkaufen 40.000 Ferkel pro Jahr, Tendenz steigend. Das geht ohne unsere Mitarbeiter nicht, die im Schnitt zwischen 5 Uhr morgens und 21 Uhr abends am Stall sind. Wir richten uns nach den Bedürfnissen der Tiere – da kann es durchaus auch mal kurz nach 4 oder 23 Uhr sein.

Das sind sicherlich recht hohe Personalkosten. Ist Ihr Betrieb denn überhaupt noch wirtschaftlich?
HH: Ich habe schon das ein oder andere Mal gehört, dass unsere Personalkosten viel zu hoch sind im Vergleich zu anderen Betrieben. Die Gesamtkosten sind aber nicht höher als bei anderen. Und warum? Weil es den Tieren gut geht. Wir können uns Zeit lassen, auch mal in Ruhe durch den Bestand gehen, die Schweine kraulen, Kontakt mit ihnen aufnehmen. Das bedeutet uns viel – und die Schweine zeigen Dankbarkeit, geben das letztlich an uns zurück.

Woran merken Sie, dass es den Tieren gut geht?

HH: Dass wir weniger Medikamente einsetzen müssen, ist das eine. Wir haben aber auch eine besondere Beziehung zueinander: Sie reagieren positiv auf uns, laufen nicht weg. Das merken auch Leute, die den Stall besuchen. 

„Wohlergehen“ scheint also offensichtlich zu sein …
HH: Ich würde sagen ja. Eine kleine Anekdote: Vor einiger Zeit waren unsere Sauen plötzlich weniger fruchtbar. Keiner konnte sich erklären, warum. Im Gespräch mit unseren Mitarbeitern haben wir festgestellt, dass es Streitereien im Team gab, einer der Mitarbeiter nicht mehr so richtig dazu gepasst hat. Fachlich lief alles einwandfrei – die Sauen haben offensichtlich nur auf die Spannungen im Team reagiert.

Frau Henke, Sie sind gelernte Tierärztin und kümmern sich um das komplette Tiergesundheitsmanagement Ihres Betriebs. Außer die Tiere zu beobachten und von Zeit zu Zeit zu kraulen: Was tun Sie außerdem proaktiv für das Wohlergehen der Schweine?
Nadine Henke:
Tierwohl hat unterschiedliche Aspekte. Selbstverständlich ist die optimale Versorgung mit Futter und Wasser, ebenso die Anwendung von Impfstoffen, wo sinnvoll. Aber es gehört noch mehr dazu …
HH: Im ersten Jahr als wir den Betrieb hatten, hat sich meine Frau Kratzbürsten für die Tiere zu Weihnachten gewünscht. 
NH: (lacht) Neben den Kratzbürsten sind es Dinge wie Beschäftigungsmaterial, Wühlmöglichkeiten, etc., was für mich ein Mehr an Tierwohl ausmacht. Aber auch die komplette Biosicherheit rund um den Betrieb sowie kurze Wege in der Vermarktung sind uns im Tiergesundheitsmanagement extrem wichtig. 

Biosicherheit – was bedeutet das konkret?
NH: Zum Beispiel muss jeder, der den Stall betritt, einduschen. Wir stellen auch sicher, dass die Karenzzeit eingehalten wird: Besucher, die den Stall betreten, dürfen nicht unmittelbar vorher in einem anderen Betrieb gewesen sein. Unser übergeordnetes Ziel ist es, den Betrieb vor Krankheiten und Seuchen zu schützen!

Bei allem Tierwohl ist es letztlich dennoch so, dass die Schweine zu Lebensmitteln verarbeitet werden. Damit verdienen Sie Ihr Geld. Wie stehen Sie emotional dazu? 
NH: Es ist wie Sie sagen, wir sprechen daher auch ganz offen darüber: Jedes Ferkel, das bei uns geboren wird, wird später ein Lebensmittel. Manche denken, dass das zu nüchtern betrachtet ist. Für uns gehört aber beides zusammen: Natürlich ist das Schwein für uns ein Tier, das uns als Halter sehr wichtig ist. Und auch wenn wir von Produktion sprechen, ist das Tier kein Produkt für uns, sondern ein Lebewesen. 

Warum tun Sie das, was Sie tun? Steckt Tradition oder Pflichtbewusstsein dahinter?
HH: Meine Eltern hatten einen Acker- und Obstbaubetrieb. Ich habe erst in meiner Ausbildung mit Schweinen gearbeitet – und gleich gemerkt, dass mir das riesig Spaß macht, ich das auch langfristig machen will. Im Jahr 2000 bin ich mit meinem ersten Betrieb in die Sauenhaltung eingestiegen. Nachdem ich meine Frau kennengelernt hatte, bot sich bald die einmalige Chance, einen weiteren Betrieb zu übernehmen…
NH: … zeitlich hatte uns das so gar nicht gepasst, weil unser Sohn gerade zur Welt kam. Aber uns war schnell klar: So eine Chance kommt nicht noch einmal! Also haben wir den neuen Betrieb zu unserem jetzigen „Hauptbetrieb“ gemacht.

Sehen Sie darin auch Ihre Zukunft?
HH: Ja. Wir möchten jetzt sogar den älteren ersten Betrieb wieder aufleben lassen, ihn im Hinblick auf tiergerechte Haltung auf den neuesten Stand bringen – das Genehmigungsverfahren läuft bereits. Wir brauchen das nicht, um zu überleben, aber da sind wir auch Unternehmer und wissen um unsere Stärke: die Ferkelaufzucht. Darauf sind wir stolz!
NH: Apropos Tradition und Zukunft: Uns ist wichtig zu sagen, dass wir nie von unseren Kindern verlangen würden, den Betrieb weiterzuführen. Wenn sie diesen Weg gehen wollen, freuen wir uns – wenn nicht, ist das aber auch völlig in Ordnung. Die drei gehen gerne mit in den Stall, füttern die Tiere, haben keine Angst. Wir wollen aber auch, dass sie wissen, wie sie vernünftig mit ihnen umgehen, dass sie Respekt haben. Sie wissen auch, woher das Fleisch kommt, das wir essen.