Ein Leben lang im Einsatz für psychische Gesundheit
Chris Underhill ist Social Entrepreneur and Teilnehmer der MMH Convention. Im Interview erklärt er, wie Patienten in vulnerablen Gemeinschaften am besten geholfen werden kann.
Chris, wir freuen uns, Sie auf der Making More Health Convention im Oktober begrüßen zu dürfen. Was erwarten Sie von der Veranstaltung in Ingelheim?
Chris Underhill: Ich kenne die Mitarbeiter von Boehringer Ingelheim im Vereinigten Königreich seit Jahren und bin Senior Fellow von Ashoka, daher bin ich mit dem Unternehmen und insbesondere mit dem Engagement von Making More Health sehr vertraut. Ich freue mich darauf, an dem Kongress teilzunehmen und viele Kolleginnen und Kollegen, die ich bewundere, persönlich zu treffen. Ich werde an einem Gespräch über psychische Gesundheit teilnehmen und freue mich auf eine fruchtbare Diskussion.
Psychische Gesundheit ist ein Thema, das Sie Ihr ganzes Leben lang begleitet - beruflich und privat. Als Teenager hatten Sie selbst mit psychischen Problemen zu kämpfen.
Ich war ein Junge, zehn Jahre alt, als meine Eltern beschlossen, mich nach England zu schicken. Sie lebten auf Korsika, glaubten aber, dass es für mich besser wäre, bei meiner Familie in London aufzuwachsen und dort die Schule zu besuchen. Leider habe ich dort nicht die nötige Pflege und Zuneigung bekommen, und zum Beispiel keine regelmäßigen Mahlzeiten bekommen. Ich musste buchstäblich auf die Straße gehen, um nach Essen zu suchen. Es war eine stressige Zeit, die damit endete, dass ich einen Nervenzusammenbruch erlitten habe und ins Krankenhaus kam.
Sie waren ein traumatisiertes Kind.
Ich fühlte mich schlecht. Ich fühlte mich einsam. Erschwerend kam hinzu, dass es damals ein großes Stigma gegenüber psychisch kranken Menschen gab. Den Ärzten gefiel es nicht, dass ich mit anderen Kindern spielte. Sie hatten gutes Grundlagenwissen, aber sie waren nicht gut, wenn es um Empathie ging. Es war eine unangenehme Situation für einen kleinen Jungen. Schließlich wurden meine Eltern kontaktiert, und sie brachten mich zurück nach Hause. Es dauerte etwa ein Jahr, bis ich mich erholt hatte.
Später wurden Sie, wie Sie es nennen, ein "Social-Entrepreneur-Wiederholungstäter". Sie gründeten und leiteten mehrere Organisationen, die sich für Menschen mit Behinderungen und für Patienten mit psychischen Erkrankungen einsetzen. Wie haben Ihnen Ihre eigenen Erfahrungen als Kind bei Ihrer Arbeit geholfen?
Es ist mir nicht möglich, eine klare Verbindung zwischen den Ereignissen in meiner Kindheit und meiner Karriere zu ziehen. Ich denke aber, dass ich sehr gut nachvollziehen kann, wie es ist, wenn man in eine verwirrende Situation gerät, eine psychische Erkrankung erleidet oder einen Zusammenbruch erlebt. Ich kann das sehr gut nachempfinden.
Die erste Organisation, die Sie 1978 gegründet haben, war Thrive. Sie arbeiteten mit Menschen mit Demenz - und der Kerngedanke war, sie zur Gartenarbeit zu bewegen...
Das klingt angesichts des regnerischen Wetters in Großbritannien ein bisschen komisch, aber es ist tatsächlich so: Wir lieben Gartenarbeit. Als ehemaliger Landwirt, der auch Agrarwissenschaften unterrichtet hat, habe ich festgestellt, dass die Gartenarbeit eine große Wirkung auf Menschen mit Demenz hat. Wenn man sie gärtnern lässt, sitzen sie nicht zu Hause und sind einsam. Sie haben ein Hobby, sie sind draußen, sie treffen andere Menschen, mit denen sie sich unterhalten können. Zweitens geht es bei der Gartenarbeit für ältere Menschen auch darum, das Gedächtnis aufzufrischen. Sie wenden Techniken an, die in der Vergangenheit trainiert wurden. Sie verfügen über diese Koordinations- und Bewegungsfähigkeiten - und Sie werden von Mutter Natur unterstützt. Man sieht sofort ein Ergebnis: Man pflanzt Samen, und man bekommt Setzlinge. Die Natur unterstützt dabei und übernimmt einen Teil der Arbeit. Unser Programm hat sich als sehr erfolgreich erwiesen.
Nach sieben Jahren an der Spitze von Thrive haben Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Menschen mit Behinderungen und Patienten mit psychischen Erkrankungen in Afrika gerichtet.
Das ist richtig. Ich wusste, dass Thrive sehr gut aufgestellt war und die Organisation auch ohne mich erfolgreich weiterarbeiten würde. Ich wollte etwas anderes machen und hatte das Gefühl, dass ich mehr tun kann. Wir arbeiteten mit Menschen mit Behinderungen in 13 Entwicklungsländern - und erreichten später mit unserer Organisation „Basic Needs“ 800.000 Menschen mit psychischen Erkrankungen in 15 Ländern. Was sehr interessant ist: Es gibt eine Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen Patienten mit psychischen Erkrankungen in Großbritannien und in Ländern wie Indien, Sri Lanka oder Ghana, d.h. sie sind einer Stigmatisierung ausgesetzt. Einer der Hauptunterschiede ist, dass die Ressourcen begrenzt sind. Patienten in Entwicklungsländern haben kaum die Möglichkeit, ärztlichen Rat einzuholen und eine Diagnose zu erhalten.
Wie haben Sie diesen Menschen geholfen?
Für uns war klar: Wir wollen keine medizinische Hilfe leisten. Medikamente zu liefern, schafft Abhängigkeiten, aus denen man sich nicht entziehen kann. Stattdessen haben wir den Gesundheitsdienst gefördert und unterstützt haben. Wir haben Versammlungen für Menschen mit psychischen Erkrankungen organisiert. Wir haben sie gefragt: Wie ist Ihre Situation? Wie fühlen Sie sich? Was sind Ihre größten Herausforderungen? Für die meisten der Teilnehmer war es das erste Mal, dass sie über sich selbst sprechen konnten. Das war ein Stück Therapie. Wir meldeten sie auch bei den Gesundheitsbehörden an, um ihnen den Zugang und die Möglichkeit einer Diagnose zu ermöglichen.
Wie können globale Pharmaunternehmen wie Boehringer Ingelheim Patienten in Entwicklungsländern am besten helfen?
Pharmazeutische Unternehmen haben in der Vergangenheit in Entwicklungsländern nicht den besten Ruf genossen. Aber eine Reihe von Unternehmen, allen voran Boehringer Ingelheim, haben viel getan, um den Gemeinschaften näher zu kommen und ihre Bedürfnisse zu verstehen. Das ist der richtige Weg, und ich möchte Boehringer Ingelheim ermutigen, diesen Weg fortzusetzen und auf diesen engen Beziehungen aufzubauen. Plus: Die Medikamente der globalen Pharmaunternehmen sind sehr angesehen. Die Medizin - insbesondere im Bereich der psychischen Gesundheit - hat sich im Laufe der Jahre verbessert. Das Problem ist, dass Regierungen in Entwicklungsländern die neuesten Generationen von Medikamenten für ihre Bevölkerung kaufen müssen. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob die Patienten die erste, zweite oder dritte Generation eines bestimmten Medikaments erhalten. Diese Vorteile aufzuzeigen, zu diskutieren und zu erklären, ist auch eine Hauptaufgabe für Pharmaunternehmen.