„Wenn wir nicht damit anfangen, wird sich nichts ändern“ 

Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität – was hat das mit der Arbeit zu tun? In der heutigen Zeit so einiges, finden wir. Erst 1990 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO Homosexualität von ihrer Liste der Krankheiten gestrichen. In den knapp drei Jahrzehnten seit diesem Tag hat sich vieles zum Positiven verändert – doch völlige Chancengleichheit für Lesben, Schwule, Bi*- Trans* Inter*- und Queere Menschen ist nach wie vor nicht gewährleistet.

Boehringer Ingelheim tritt für eine Kultur ein, in der Vielfalt wertgeschätzt wird, egal ob auf Grund von Geschlecht, kulturellem Hintergrund, Alter, Behinderungen, oder auch sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität: Das unternehmensinterne Regenbogen Netzwerk engagiert sich dafür, „buntes“ Leben bei Boehringer Ingelheim sichtbarer zu machen und bietet unseren LGBTIQ+ Kolleg*innen einen geschützten Raum, um gemeinsam Erfahrungen und Sichtweisen auszutauschen.

In unserer LGBTIQ Interviewreihe erzählen Kolleg*innen aus den BI Regenbogen-Netzwerken von Ingelheim und Biberach von den Erfahrungen als lesbische, schwule, oder transidenten Mitarbeitende von Boehringer Ingelheim. Lernen Sie Dr. Christian Seifert kennen, Head of Statistics im Bereich BioPharma in Biberach und Mitglied im Regenbogen Netzwerk.

Ein Interview aus dem Jahr 2017.

 

Christian Seifert

 

"Wenn wir nicht damit anfangen, wird sich nichts ändern", sagt Dr. Christian Seifert.

Herr Dr. Seifert, was ist derzeit Ihre Aufgabe bei Boehringer Ingelheim?

Ich bin Head of Statistics im Bereich BioPharma und arbeite am Standort Biberach. Zurzeit führe ich zwei Teams, die sich vor allem mit Daten und Statistiken befassen. Ich bin seit vier Jahren im Unternehmen und das ist momentan meine dritte Position innerhalb der Organisation.

Welche Erfahrungen haben Sie bislang beim offenen Umgang mit Ihrer Homosexualität gemacht?

Ich komme ursprünglich aus dem Ruhrgebiet, dort ist das ein ziemlich offenes und verbreitetes Thema. Wenn sich jemand outet, wissen die Menschen das meist gut einzuordnen. In Biberach gibt es meinem Eindruck nach insgesamt weniger Menschen, die schon einmal Bekanntschaft mit offen homosexuellen Menschen gemacht haben. Für viele war mein Outing ihr erstes Erlebnis in dieser Hinsicht. Ich denke, dass ich, was die Reaktionen von außen betrifft, auch besonders sensibilisiert bin. Als Jugendlicher habe ich aufgrund meiner Homosexualität körperliche Gewalt erfahren und achte daher bis heute sehr genau darauf, welche Reaktionen ich bei meinem Gegenüber wahrnehme, wenn ich mich oute.

Welche Reaktionen haben Sie beim Outing am Arbeitsplatz erlebt?

Meine Erfahrungen mit dem Outing am Arbeitsplatz würde ich insgesamt als durchwachsen bezeichnen. Meine Führungskräfte haben mir für das entgegenbrachte Vertrauen gedankt und zum Teil auch persönliches Interesse gezeigt und Fragen gestellt. Gegenüber Kolleg*innen habe ich mich erst nach Ende meiner befristeten Beschäftigung, das heißt nach zwei Jahren im Unternehmen, geoutet. Ich brauchte erst mehr Sicherheit, bevor ich diesen Schritt gewagt habe. Ich hatte intern die Position gewechselt und habe dann bei einem Kennenlern-Workshop mit meinem neuen Team die Frage nach meiner Freundin ganz einfach damit beantwortet, dass ich einen Partner habe. Die Reaktionen waren überwiegend offen und die meisten haben versucht, es so gut es geht als normal aufzufassen. Insgesamt ist mein Eindruck, dass ein möglichst selbstverständlicher Umgang mit dem Thema von meiner Seite in der Regel auch mit Normalität von meinem Gegenüber beantwortet wird. Aber es ist leider noch immer nicht selbstverständlich, offen mit der eigenen Homosexualität umgehen zu können. Deswegen brauchen wir Initiativen wie das Regenbogen Netzwerk.

Wie sind Sie in Kontakt mit dem Regenbogen Netzwerk bei Boehringer Ingelheim gekommen? In welcher Form engagieren Sie sich dort?

Ich bin letztes Jahr über unser Intranet auf die Einladung zum initialen Treffen des Netzwerkes aufmerksam geworden. Ich dachte zunächst, das wäre ein eher lockeres, unverbindliches Beisammensein und war nicht darauf vorbereitet, dass es sich um echte Arbeit handelt – mit Meeting-Struktur, Charta und diversen Aufgaben, die erledigt werden wollten (lacht). Davon habe ich mich direkt mitreißen lassen und engagiere mich seither im Orga-Team. Wir treffen uns mindestens einmal im Monat zu unserem Netzwerktreffen, außerdem organisieren wir weitere Aktionen wie etwa zum Diversity Tag. Da kommt schon einiges an Stunden zusammen, die wir alle ehrenamtlich einbringen.

Was kann das Regenbogen Netzwerk aus Ihrer Sicht leisten? Warum lohnt es sich, zum Beispiel für einen schwulen Kollegen, dort mitzumachen?

Das Netzwerk kann die Arbeitsatmosphäre bei Boehringer Ingelheim verändern und in Bezug auf LGBTIQ+ positiv gestalten. Das bedeutet natürlich zunächst einmal Arbeit für diejenigen, die sich engagieren – aber wir alle haben ja auch etwas davon. Letztlich profitiert jede*r Mitarbeiter*in im Unternehmen von einer positiven Arbeitsatmosphäre. Ganz konkret bietet das Regenbogen Netzwerk verschiedene Beratungsangebote, unter anderem sind wir mit dem Betriebsrat vernetzt. Und wir stehen jederzeit für Fragen zur Verfügung. Das gilt selbstverständlich nicht nur für diejenigen, die sich im Netzwerk engagieren, sondern für alle im Unternehmen.

Was können Mitarbeitende, die sich im Regenbogen Netzwerk engagieren, für das Unternehmen tun?

LGBTIQ+-Mitarbeitende, die am Arbeitsplatz offen sind, können sich viel besser auf ihre Arbeit konzentrieren, ihre Ressourcen im Unternehmen einbringen und sind einfach effektiver. Nicht länger herumdrucksen zu müssen, zum Beispiel, wenn es um Partner*innen geht, setzt eine Menge Energie frei. Darin liegt ein großer Mehrwert für Boehringer Ingelheim. Zu dieser Kultur der Offenheit kann das Netzwerk einen ganz wesentlichen Beitrag leisten. Ein weiterer Aspekt spielt aus meiner Sicht ebenfalls eine wichtige Rolle: In vielen Ländern leiden homosexuelle und transidente Menschen unter starken Repressionen und können bei weitem nicht so offen leben, wie uns das in westlichen Ländern häufig möglich ist. Durch die Diversität in unserem Unternehmen und die Sichtbarkeit des Regenbogen Netzwerkes können wir Talente aus diesen Ländern einen Anreiz bieten, sich für unser Unternehmen zu entscheiden. Diversität machen uns als Arbeitgeber attraktiv.

Was glauben Sie, welche Rolle das Netzwerk für Führungskräfte und für die Karriereentwicklung spielen kann?

Gerade in der Karriereentwicklung kann ein Outing heutzutage noch immer hinderlich sein. Homosexualität bei Männern wird zum Beispiel häufig mit Schwäche assoziiert, während es sich im mittleren bis höheren Management vermeintlich durch Stärke auszeichnen sollte. Diese Vorurteile können bei der Karriereplanung durchaus eine Rolle spielen. Das können wir – als Regenbogen Netzwerk – ändern, indem wir aufklären und durch positive Beispiele mit diesen Vorurteilen aufräumen. Das bedarf gerade anfangs einer großen Anstrengung, aber wenn wir nicht damit anfangen, wird sich das nicht ändern. Ich selbst möchte als Führungskraft zeigen: Ich kann mich outen, ich stehe dazu und ich zeige anderen, dass die gängigen Vorurteile nur sehr bedingt wahr sind.

Inwiefern kommt Führungskräften aus Ihrer Sicht auch eine Vorbildfunktion zu?

Die Vorbildfunktion sehe ich vor allem darin, dass ich durch meine Offenheit als Führungskraft persönlicher und nahbarer werde und nicht nur „der Chef“ bin. Gerade, weil Homosexuelle häufig von Stereotypen betroffen sind, besteht natürlich die Gefahr, dass ich von der Schublade „Führungskraft“ in die Schublade „Homosexueller“ gesteckt werde. Hier gilt es eine gute Balance zwischen persönlicher Nähe und notwendiger Distanz zu finden. Für meinen eigenen Führungsstil ist eine gewisse Nähe jedoch sehr wichtig, denn ich möchte meine Mitarbeitenden mitreißen und gemeinsam mit ihnen an anspruchsvollen, visionären Zielen arbeiten.

Was wünschen Sie sich im Hinblick auf die Arbeit des Netzwerkes und die Sichtbarkeit von LGBTIQ im Unternehmen?

Zunächst einmal wünsche ich mir, dass das Regenbogen Netzwerk weiterhin bestehen bleibt und eine noch größere Zahl an Mitgliedern und Unterstützenden gewinnt. Das Netzwerk bietet vielfältigen Raum – auch für Menschen, die nicht in der ersten Reihe stehen möchten und sich vielleicht lieber auf andere Weise beteiligen. Es wäre toll, wenn das Thema LGBTIQ in Zukunft kein Tabu-Thema mehr wäre und bei allen Mitarbeitenden die Angst vor dem Unbekannten abgebaut werden könnte. Ich wünsche mir auch, dass möglichst viele „Straight Allies“, das heißt Menschen, die selbst nicht LGBTIQ+ sind, das Netzwerk unterstützen. Ihr Engagement belegt, dass sie eben nicht aus eigener „Betroffenheit“ argumentieren, sondern aus Überzeugung. Das ist extrem hilfreich. Schließlich müssen wir den derzeit national und international zu beobachtenden Rechtsströmungen etwas entgegensetzen und zeigen: Boehringer Ingelheim steht für Diversität und eine offene Denkweise. Ich wünsche mir, dass die Unternehmensleitung uns da weiterhin den Rücken stärkt, auch wenn es politisch noch ein bisschen windiger werden sollte.

Welchen Tipp würden Sie neuen LGBTIQ+-Mitarbeitenden bei Boehringer Ingelheim mit auf den Weg geben, die sich am Arbeitsplatz bislang noch nicht geoutet haben?

Die meisten Menschen, die sich am Arbeitsplatz nicht outen, tun das aus Angst vor Benachteiligungen. Wenn wir uns nicht outen, wird sich daran jedoch nichts ändern. Je mehr Menschen sich outen, desto mehr werden Benachteiligungen abgebaut. Das Bekenntnis der Unternehmensleitung zu unserem Netzwerk zeigt den starken Willen von Boehringer Ingelheim, seine LGBTIQ+-Mitarbeitenden zu schützen. Jetzt liegt es an uns, das auch umzusetzen. Also: Outet Euch! (lacht)

Wir hatten gerade ein verlängertes Wochenende mit ziemlich durchwachsenem Wetter – was haben Sie denn so mit Ihrer Freizeit angestellt?

Ich war mit meinem Partner in unserem kleinen Reihenhäuschen in Ludwigshafen am Rhein und wir haben gemeinsam mit Freunden gegrillt. Ich werde immer wieder gefragt, warum ich in Ludwigshafen und nicht in Biberach, an meinem Arbeitsort, wohne. Leider ist die Atmosphäre für Homosexuelle in Biberach nicht so offen, wie ich sie mir wünschen würde, daher haben wir uns für eine größere Stadt entschieden. Aber dafür, dass die Offenheit gegenüber Menschen jeglicher sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität steigt, können wir bei Boehringer schon heute etwas tun und das an unseren Standorten auch nach außen, in die Gesellschaft, tragen.