Wirtschaftsstandort Deutschland: Im Schulterschluss für bessere Forschung
Ende August unterzeichneten die Fraunhofer-Gesellschaft und wir einen Rahmenvertrag zur gemeinsamen Forschung. Im Interview erklären Susanne Bailer, Leiterin der neuen Außenstelle Virus-basierte Therapien des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Biberach, und Thomas Reith, Standortleiter Boehringer Ingelheim Biberach, woran wir künftig gemeinsam forschen werden und wieso es mehr Mut für Innovation „Made in Germany“ braucht.
Frau Bailer, das Land Baden-Württemberg hat Ihrem Institut 25 Millionen für die Errichtung einer Außenstelle in Biberach zugesagt. Vor kurzem sind nun Ihre Kolleginnen und Kollegen in die neuen Räumlichkeiten eingezogen, die Arbeit hat begonnen. Warum sind virale Therapien für die Krebsforschung so attraktiv?
Bailer: Zuerst einmal möchte ich meinen Dank an die Landesregierung für diese großzügige Förderung zum Ausdruck bringen. Damit verbindet sie einen großen Auftrag, nämlich erst einmal unsere Außenstelle Virus-basierte Therapien aufzubauen und erfolgreich zu machen und damit langfristig die Basis für ein außeruniversitäres Zentrum für innovative Therapien in der Region zu legen. Viren faszinieren mich seit Langem. Sie sind hoch spannend und anders als die meisten bisherigen Therapiemodalitäten hoch komplex − sowohl in ihrer Zusammensetzung als auch in ihrer Wirkweise. Ihr Potenzial in der therapeutischen Anwendung, zum Beispiel bei Erbkrankheiten oder Krebs, ist riesig. Denn: Man kann sich ihre Fähigkeiten zu Nutze machen, zum Beispiel, um in kranke Zellen einzudringen und dort genetische Informationen wirksam zu machen.
Forschung an onkolytischen Viren: Potenziale für künftige Therapien
Worauf werden wir uns in der Krebsforschung gemeinsam fokussieren?
Bailer: Wir werden einen starken Fokus auf die onkolytischen Viren legen. Diese Viren sind so modifizierbar, dass sie Krebszellen infizieren und zerstören können. Dabei setzen sie sogenannte Tumormarker frei, die das Immunsystem aktivieren und eine Immunreaktion gegen den Tumor auslösen. Gemeinsam mit Boehringer wollen wir in diesem Bereich die biotechnologische Entwicklung vorantreiben. Es geht darum, neue Verfahren zur Produktion von therapeutischen Viren und zum Nachweis ihrer Funktion, Wirksamkeit und Sicherheit zu entwickeln, um sie dann in die Anwendung zu bringen.
Herr Reith, mit dem Fraunhofer IGB hat Boehringer einen starken Kooperationspartner gleich neben dem Werksgelände. Welche Erkenntnisse erhoffen wir uns?
Reith: Bei Boehringer in Biberach arbeiten etwa 3.000 Mitarbeitende in der Forschung und Entwicklung – mit der Außenstelle haben wir jetzt noch mehr kluge Köpfe nur einen Katzensprung entfernt. Natürlich wünschen wir uns, dass aus der Zusammenarbeit neue Kandidaten für unsere Pipeline hervorgehen und wir den hiesigen Forschergeist zum Erfolg bringen.
Standortfaktoren: Spitzenforschung am Wirtschaftsstandort Deutschland
Wie können wir uns diese Zusammenarbeit konkret vorstellen?
Bailer: In den letzten Wochen und Monaten haben wir die Grundlagen geschaffen; sind in das Gebäude in Biberach eingezogen, haben Labore eingerichtet, ein schlagkräftiges Team aufgestellt und erste gemeinsame Projekte gestartet. Es ist noch nicht alles in Stein gemeißelt, aber Eines steht fest: wir wollen hier gemeinsam Spitzenforschung betreiben.
Reith: Das Fraunhofer IGB bringt enorm viel Know-How im Bereich der onkolytischen Viren mit, die wir perfekt mit unserer Expertise an den Standorten Ochsenhausen und Biberach zusammenbringen können. Wir können gegenseitig viel voneinander lernen und profitieren. Dass wir jetzt so nah sind, bedeutet: wir können wann immer nötig, die Köpfe zusammenstecken und Hand in Hand arbeiten.
Wie bewerten Sie die Rahmenbedingungen für Forschung am Wirtschaftsstandort Deutschland – oder anders gefragt: Wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik?
Bailer: Grundsätzlich passiert hier in der Region im Austausch mit den Hochschulen und anderen Akteuren im BioPharma Cluster South Germany schon sehr viel. Die 25 Millionen seitens der Landesregierung sind ein starkes Zeichen, dass Grundlagenforschung anerkannt wird – was wir sehr zu schätzen wissen. Aber wir sehen auch: Es braucht längerfristige Perspektiven für Forschung, ganz gleich ob in Wissenschaft oder Industrie.
Starke Zeichen: Pharmastrategie und Medizinforschungsgesetz
Reith: Wir beobachten, dass Dinge auf Seiten der Politik in Bewegung kommen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland und auch die Forschung zu stärken. Die Bundesregierung hat mit ihrer Pharmastrategie wichtige Grundpfeiler gesetzt, um ein forschungsfreundlicheres Umfeld zu schaffen. Konkreter sind im Medizinforschungsgesetz wichtige Meilensteine festgelegt, um klinische Studien in Deutschland attraktiver zu machen. Das ist enorm wichtig für uns als forschendes Unternehmen aber auch für die Gesellschaft, die Patientinnen und Patienten, die auf die Zulassung innovativer Medikamente warten. Aber wir wissen auch: Ein Gesetz zu verabschieden ist das eine, es umzusetzen das andere. Es besteht noch viel Handlungsbedarf, beispielsweise um bürokratische Hürden abzubauen und unterschiedliche Institutionen besser zu vernetzen.
Was meinen Sie konkret?
Reith: Hier kann ich das Gesundheitsdatennutzungsgesetz nennen, das es künftig erleichtern soll, mit unterschiedlichen Akteuren Gesundheitsdaten zu erfassen, auszuwerten und vor allem Erkenntnisse daraus zu gewinnen, die unsere Gesundheitsversorgung gesamthaft verbessern sollen. Da sind andere Länder schon so viel weiter. Es braucht ein Umdenken in der Politik, aber auch in der Gesellschaft: weniger Bedenkenträger, mehr Mut und mehr Freiheit. So profitieren am Ende alle.
Internationaler Wettbewerb und technologische Souveränität: Bessere Rahmenbedingungen für Forschung in Deutschland
Was gibt Ihnen Hoffnung, dass auch in Zukunft der Wirtschaftsstandort Deutschland wieder stärker wird und wir mehr pharmazeutische Durchbrüche „made in Germany“ sehen?
Bailer: Unsere tagtägliche Arbeit. Meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen brennen für ihre Forschung und das größere Ziel, einen Beitrag zur Behandlung schwerwiegender Krankheiten leisten zu können. Das macht mich enorm zuversichtlich.
Reith: Das kann ich nur unterstreichen. Ich sehe viele hoch motivierte Menschen – bei uns im Unternehmen aber auch außerhalb. Menschen, die Lust an Forschung haben und auch Mut, Neues zu wagen und eine eigene Firma gründen. Wenn wir es schaffen, als Wirtschaft und Gesellschaft diese Menschen zu fördern, beispielsweise durch institutionelle oder private Investitionen, dann werden wir im internationalen Wettbewerb wieder an Boden gewinnen.
Vielen Dank für das Interview.
Ein globales Netzwerk für Virus-basierte Therapeutika
Boehringer Ingelheim ist auf dem Gebiet der viralen Therapeutika seit einigen Jahren aktiv. Zusammen mit den 2018 und 2019 zugekauften österreichischen bzw. schweizerischen Unternehmen ViraTherapeutics und Amal Therapeutics sowie der Übernahme des ehemaligen Labor Dr. Merk in Ochsenhausen konnten wir unsere Kompetenzen in den Bereichen Forschung und Entwicklung sowie Herstellung und Analytik erweitern. Die Zusammenarbeit mit der neu angesiedelten Außenstelle des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Biberach trägt dazu bei, dass in Oberschwaben die Übersetzung von Forschungsergebnissen in Produkte und Technologieplattformen zum Nutzen vieler Patientinnen und Patienten beschleunigt werden kann.