Klinische Studien: für mehr medizinischen Fortschritt

Seit einigen Jahren geht die Anzahl der in Deutschland durchgeführten klinischen Studien stetig zurück. Dadurch verzögert sich für die Patientinnen und Patienten hierzulande der Zugang zu innovativen Medikamenten.

Ein Kommentar von Dr. Petra Moroni-Zentgraf, Medizinische Leiterin bei Boehringer Ingelheim 

„Ohne klinische Studien gibt es keinen medizinischen Fortschritt. Keine Hoffnung für all jene Menschen, die mit einer Krankheit leben, für die es noch keine oder nur unzureichende Therapieoptionen gibt. Keine Mittel gegen kleine Infekte oder große Pandemien – Corona hat uns das eindrücklich gezeigt. Klinische Studien sind ein Indikator für die medizinische Innovationskraft eines Landes. 

Noch vor wenigen Jahren wurden in Deutschland, nach den USA, die meisten Studien weltweit durchgeführt. Heute rangiert das Land auf Platz sieben – das zeigt die kürzlich veröffentlichte Innovationsstudie des vfa (Verband forschender Arzneimittelhersteller, erarbeitet mit der Beratungsagentur KEARNEY). Immer mehr Unternehmen setzen auf Forschungszentren in den USA, China, Spanien oder Kanada, um die Wirksamkeit von Medikamenten zu testen. Das sollte uns hellhörig werden lassen. Denn das heißt, dass der Standort Deutschland immer unattraktiver wird. Vor allem jedoch, dass die Patientinnen und Patienten hierzulande immer später Zugang zu Arzneimitteln erhalten, die ihr Leben zum Positiven verändern könnten. 

Warum ist Deutschland als Standort für klinische Studien so unattraktiv geworden?

Eigentlich sind die Voraussetzungen in Deutschland gut: eine hohe Bevölkerungsdichte, gut ausgebildete Forscherinnen und Forscher, eine hohe Qualität der Universitäten und Gesundheitseinrichtungen. Dennoch sind die Zahlen rückläufig, die Gründe dafür vielfältig: langwierige Genehmigungsverfahren, schleppende Digitalisierung, fehlende Aufklärung, hoher Verwaltungsaufwand, uneinheitliche Anforderungen an den Datenschutz und komplexe Abstimmungen mit Behörden, Ethik-Kommissionen und Forschungseinrichtungen. Das Ergebnis: Während andere Länder schon erste Studienteilnehmer rekrutieren, wird hierzulande noch auf allen Ebenen diskutiert und verhandelt.

Das im vergangenen Jahr verabschiedete GKV-Finanzstabilisierungsgesetz macht es zusätzlich unattraktiv, innovative Medikamente in Deutschland zu testen und auf den Markt zu bringen. Denn gerade die für den medizinischen Fortschritt immens wichtigen Schrittinnovationen haben es durch das Gesetz besonders schwer, angemessene Konditionen auf dem Markt zu bekommen. Schrittinnovationen machen aber fast 80 Prozent aller Innovationen bei Arzneimitteln aus. Wenn ein Arzneimittelhersteller nicht sicher sein kann, dass seine Innovationen am Ende verlässliche Marktbedingungen vorfinden, wird er auch die zu ihrer Erforschung nötigen Studien anderswo durchführen. Die Aussichten sind insgesamt düster, die Stimmung in der Branche als eher pessimistisch zu bezeichnen.

Gemeinsam für mehr medizinischen Fortschritt und eine gute Patientenversorgung

Neben den schwierigen Rahmenbedingungen ist hierzulande die Skepsis gegenüber klinischen Studien weiterhin hoch. Während in Dänemark pro einer Million Einwohner 179 Menschen an klinischen Studien teilnehmen, sind es in Deutschland gerade mal 301. Aufklärungsarbeit ist und bleibt daher auch weiterhin eine zentrale Aufgabe. Wir müssen die Sorgen der Patientinnen und Patienten ernst nehmen, ihnen zuhören und unsere Arbeit an ihren Bedürfnissen ausrichten. 

Unser aller Ziel muss es sein, Deutschland als Studienstandort wieder attraktiver zu machen. Von Seiten der Politik braucht es dazu bessere politische Rahmenbedingungen. Konkret: verlässliche Marktbedingungen für Innovationen, Abbau von Bürokratie, Harmonisierung der rechtlichen Beratung durch die Ethik-Kommissionen, einheitliche Regeln zum Beispiel beim Datenschutz, Entwicklung von standardisierten Musterverträgen sowie eine zunehmende Vernetzung der Studienstandorte. Vor allem braucht es aber auch mehr Zusammenarbeit und das nimmt alle Akteure in die Pflicht: Politik, Behörden, Forschung und Unternehmen, die Vertreter des Gesundheitswesens, Sponsoren und Patientenorganisationen. 

So können wir alle dazu beitragen, Deutschland als Studienstandort wieder attraktiver zu machen. Denn Spitzenforschung bedeutet auch immer Spitzenmedizin und damit eine bestmögliche Versorgung für Patientinnen und Patienten.“

Ohne klinische Studien gibt es keinen medizinischen Fortschritt

 

Was sind klinische Studien?

In klinischen Studien (auch "klinische Prüfungen" genannt) wird die Eignung von Medikamenten zur Behandlung einer bestimmten Krankheit geprüft.

Phase-1-Studien

In Studien der Phase 1 wird an gesunden Probanden die Verträglichkeit und Sicherheit des Wirkstoffs untersucht.

Phase-2- und -3-Studien

In Phase 2 und 3 werden Wirksamkeit und Verträglichkeit einer Wirksubstanz erst bei wenigen, dann bei vielen Patientinnen und Patienten analysiert.

Phase-4-Studie

Phase-4-Studien finden statt, wenn ein Medikament bereits auf dem Markt ist. In dieser Phase werden weitere Aspekte des Arzneimittels untersucht oder Vergleiche mit anderen Medikamenten angestellt. Im Regelfall wirken an einer Studie Forschungseinrichtungen vieler Länder zugleich mit.

 

1 vfa: Studie 'Pharma-Innovationsstandort Deutschland' (2023)

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