Große Herzen helfen gemeinsam

Mit jedem Schritt kommen sie dem Zelt näher. Sie können es gar nicht erwarten, es endlich zu betreten. Ihnen ist kalt. Sie sind müde und hungrig, genau wie ihre Begleiter. Als sich die Zeltplane öffnet, strömt ihnen Wärme entgegen. Sie haben es geschafft. Erleichtert betreten sie das Zelt. So fühlen sich Flüchtlinge an der polnisch-ukrainischen Grenze bei Medyka, wenn sie auf ein Veterinärteam treffen, das ihnen bei der Betreuung ihrer Haustiere hilft. Zu diesem Team aus Tierärztinnen und Tierärzten gehört auch eine Mitarbeiterin von Boehringer Ingelheim: Julie Ryan Johnson.

Anfang April 2022 fliegt Julie aus den USA nach Medyka. Im Rahmen ihres Engagements als Tierärztin für die Wohltätigkeitsorganisation „Greater Good Charities“ arbeitet sie dort für den International Fund for Animal Welfare (IFAW). Gemeinsam mit anderen Freiwilligen empfängt sie Flüchtlinge aus der Ukraine, die das Kriegsgebiet verlassen haben und mit ihren Tieren die Grenze überqueren. „Die Welt ist klein“, denkt sie, als sie vor Ort mit einigen ihrer US-amerikanischen Mitstreiterinnen und Mitstreitern zusammentrifft, die sie aus früheren Projekten kennt. So engagieren sich Tierärztinnen und Tierärzte sowie Technikerinnen und Techniker der San Diego Humane Society und der Humane Society of Broward County ebenfalls im polnisch-ukrainischen Grenzgebiet. Bei der Betreuung des Tierarzt-Zeltes wechseln sie sich ab.

Das Camp an der Grenze hält Proviant für die Weiterreise der Flüchtlinge bereit. Es ist rund um die Uhr geöffnet und bietet kostenloses Essen an, das von Food Trucks gebracht wird, zudem Kleidung, Wasser, polnische SIM-Karten, Koffer, Spielzeug und Ruheplätze. Sobald Personen mit Tieren die Grenze überqueren, werden sie zu einem Zelt des IFAW geführt, wo sie auch für ihre Tiere nützliche Sachen für den restlichen Teil der Reise erhalten. Dazu zählen Leinen, Halsbänder, Hundegeschirr, Tragetaschen, Essen, Näpfe, Regenmäntel für Hunde und Katzenstreu. Das aus Tierärztinnen und Tierärzten bestehende Team des IFAW untersucht die Haustiere und gibt ihnen zusätzliche medizinische Unterstützung.

Julie verbringt sieben Tage und teilweise auch ihre Nächte hier, um den Haustieren der Flüchtlinge dabei zu helfen, sich von den Strapazen der Reise zu erholen. „Die meisten Tiere leiden unter Flüssigkeitsmangel. Sie sind tagelang unterwegs gewesen, ohne Essen und ohne Wasser. Sie benötigen einen Platz zum Schlafen. Sie sind erschöpft“, so Julie. „Es ist ergreifend zu sehen, dass ihre Halterinnen und Halter sich erst entspannen können, wenn sie sehen, dass es ihren Tieren gut geht. Man kann die Kraft der Beziehung zwischen Menschen und Tieren förmlich spüren.“

Eine der Sachen, die Julie am meisten beeindruckt, ist, wie sich die Ukrainerinnen und Ukrainer um ihre Haustiere kümmern. „Alle Tiere sind in diesem Zelt willkommen. Wir haben hier eine Babyschildkröte, einen Hamster, einen Hund, eine Katze, einen Papagei und eine riesige Schnecke. Für die Halterinnen und Halter haben sie Vorrang vor allem anderen“, sagt sie. „Sie leiden unter viel Stress, wenn es um das Wohlergehen ihrer Haustiere geht. Ihnen macht es nichts aus, dass sie tagelang gelaufen sind und seit längerer Zeit nichts mehr gegessen haben. Sie möchten, dass ihre Haustiere die ersten sind, die Hilfe erhalten. Dann, und nur dann, können sie sich auf sich selbst konzentrieren, essen und – endlich – schlafen. Für die Freiwilligen am Eingang des Camps war schnell klar, dass sie, wenn sie Leute willkommen heißen, auch ihre Tiere aufnehmen müssen. Und das tun sie.“

“Ich konnte einfach nicht anders und brachte deshalb eine der Katzen zu mir nach Hause – wir nannten ihn Madame George. Für mich war das der beste Weg, um die Haustierhalterin bei ihrer Sorge um ihre geliebten Tiere, die nicht mit ihr den letzten Teil ihrer Reise weitergehen können, zu unterstützen. Ich war nicht die Einzige; der Rest der Freiwilligen machte es genauso. Jeder und jede von uns adoptierte eine Katze. Wir konnten nicht anders.“ Unter Tränen fügt Julie hinzu: „Ein Haustier zu adoptieren ist keine einfache Aufgabe. Nicht alle Tiere können direkt verteilt werden, aber die Gedanken der Leute kreisen darum, die beste und schnellste Lösung zu finden.“

„Die Tiere benehmen sich unglaublich gut“, erklärt Julie, „trotz ihres Zustandes. Dabei haben uns diesmal insbesondere die Katzen überrascht, die ja eigentlich für ihren speziellen und einzigartigen Charakter bekannt sind. Sie sind freundlich, sanft und lassen sich streicheln. Sie sind Überlebende, genau wie ihre Halterinnen und Halter.”

Was passiert als Nächstes?

Sobald sie sich ausgeruht haben und wieder neue Kraft getankt haben, machen sich die Flüchtlinge fertig, um das Camp in Richtung Bahnhof zu verlassen. Dort sollten sie dann polnische Tierärztinnen und Tierärzte treffen, die die Gesundheit ihrer Tiere prüfen, diese – soweit notwendig – impfen und das Procedere rund um den Tierpass einleiten. Danach können sie zu ihrem nächsten Ziel weiterreisen.

“Ich bin dankbar dafür, dass ich die Möglichkeit habe, hier an der Grenze zu helfen und dabei diese tollen Leute zu treffen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Tierärztinnen und Tierärzte, Zivilpersonen, Kolleginnen und Kollegen, Studierende, die übersetzen, alte und junge Leute – alle haben einen Teil ihres Herzens in Polen gelassen. Ihre Hingabe und Leidenschaft, Tieren und Menschen zu helfen, waren meine tägliche Inspiration, egal wie müde oder hungrig ich war. Es ist eigentlich unvorstellbar, dass trotz dieser dunklen Zeit immer ein Licht im Herzen der Leute leuchtet, das uns hilft, das alles zu bewältigen. Und dafür bin ich dankbar.“