1948-1990: Internationalisierung
Globale Märkte wurden immer wichtiger, auch für ein chemisch-pharmazeutisches Unternehmen wie Boehringer Ingelheim. Dies erkannte Ernst Boehringer (1896-1965), der jüngere Sohn des Firmengründers Albert Boehringer, der nach dem Tod des Vaters im Jahr 1939 gemeinsam mit seinem Bruder Albert (1891-1960) und seinem Schwager Julius Liebrecht (1891-1974) das familiengeführte Unternehmen übernommen hatte.
Überblick
Ernst Boehringer, Albert Boehringer und Julius Liebrecht steuerten Boehringer Ingelheim durch die ersten Nachkriegsjahre, die sich zunächst schwierig gestalteten, nach der Währungsreform 1948 aber nach und nach von wirtschaftlicher Erholung und Expansion geprägt waren. Im Jahr 1948 wurde auch die erste Auslandsgesellschaft in Wien gegründet; weitere Gesellschaften sollten weltweit folgen. Infolge des allgemeinen Wirtschaftsaufschwungs hatte sich im Jahr 1955 die Zahl der Mitarbeitenden im Vergleich zur Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg schon vervierfacht.
Die Tradition des familiengeführten Unternehmens wurde in der Folgegeneration fortgesetzt: Nach dem Tod von Albert und Ernst Boehringer wurde Julius Liebrecht im Jahr 1965 Vorsitzender der Unternehmensleitung. Sein Sohn Hubertus Liebrecht rückte zwei Jahre später in die Unternehmensleitung auf, wurde im Jahr 1971 deren Vorsitzender und lenkte in dieser Position 20 Jahre lang das Unternehmen. Ein weiteres Mitglied der neuen Generation war Wilhelm Boehringer, der Sohn von Albert. Er trat ebenfalls im Jahr 1967 in die Unternehmensleitung ein und leitete den Bereich Produktion und Technik, bis er im Jahr 1975 im Alter von 44 Jahren unerwartet verstarb.
Während der ersten Nachkriegsjahrzehnte gelang Boehringer Ingelheim die Markteinführung von zahlreichen wichtigen und innovativen Produkten – nicht nur im Heimatmarkt Deutschland, sondern auch in einer zunehmend miteinander verbundenen Welt. Internationale Innovation brachte das Unternehmen auf ein neues Level.
Meilensteine und Wendepunkte
1948: Globale Ausrichtung
Im Jahr 1948, drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, wird die erste Auslandsgesellschaft unter dem Namen „Bender & Co“ in Wien gegründet. Daraus sollte sich das Regional Center Vienna entwickeln, das heute im Wiener Bezirk Meidling zu finden ist. Dieses Ereignis bildet zugleich den Startschuss für die globale Expansion des Unternehmens, mit weiteren Auslandsgesellschafen innerhalb der nächsten 25 Jahre in Spanien (1953), Italien (1955), Brasilien (1956), Argentinien (1957), Kanada (1958), Japan (1961), Mexiko (1962), Großbritannien (1962), Frankreich (1968) und den USA (1971).
Die US-Auslandsgesellschaft in Ridgefield in den 1980er-Jahren.
Durch diese kontinuierliche Expansion kommt es im Jahr 1981 zu einer Reorganisation der Unternehmensstruktur: C. H. Boehringer Sohn, der ursprüngliche Name des Unternehmens, wird die neue Dachgesellschaft für Unternehmen in Deutschland, während die neugegründete Boehringer Ingelheim International GmbH die Dachgesellschaften für alle Unternehmen im Ausland wird. Das Unternehmen hat sich zu einem Global Player entwickelt.
1955: Fortschritte für die Tiergesundheit
Boehringer Ingelheim investiert nun in die Tiergesundheit und reagiert damit auf einen zunehmenden Bedarf an veterinärer Forschung und Entwicklung. Im Jahr 1950 hat Boehringer Ingelheim bereits eine Zusammenarbeit mit Pfizer & Co. Im Bereich Antibiotika begonnen. Nun, fünf Jahre später, bietet Pfizer Boehringer Ingelheim den Verkauf und Vertrieb von Terramycin an, einem Antibiotikum aus Pfizers Tiergesundheitssparte. Dieser Schritt markiert den Beginn der Tiergesundheit bei Boehringer Ingelheim.
Terramycin-Werbung
1959: Startschuss für die „Internationalen Tage“ in Ingelheim
Die ersten „Internationalen Tage“ finden in Ingelheim statt. Ernst Boehringer initiiert diese Veranstaltungsreihe, um die Wertschätzung und das Verständnis für unterschiedliche Kulturen zu fördern. Mit einer Vielzahl an Events und einer Kunstausstellungen sind die „Internationalen Tage“ seitdem ein jährliches Highlight des Ingelheimer Veranstaltungskalenders. Die „Internationalen Tage“ widmen sich jedes Jahr einem besonderen Thema, zu dem Länder, Regionen oder auch Künstlerinnen und Künstler zählen, wie Paul Klee, Andy Warhol, Pablo Picasso, Marc Chagall und Käthe Kollwitz.
Die Internationalen Tage finden traditionell am Alten Rathaus von Nieder-Ingelheim statt.
1961: Gründung des Instituts für Arzneimittelforschung
In Wien wird das Institut für Arzneimittelforschung mit einem Fokus auf die Bereiche Virologie und Pharmakologie errichtet. Es sollte nicht das einzige Forschungsinstitut in Wien bleiben, das Boehringer Ingelheim fördern sollte. Über die Jahrzehnte entwickelt sich Wien zu einem Eckpfeiler des unternehmenseigenen Forschungsnetzwerks. Ein weiteres Institut, das in der österreichischen Hauptstadt durch Boehringer Ingelheim eingerichtet wurde, ist das Institut für molekulare Pathologie (IMP).
Das IMP in Wien
Es wurde im Jahr 1988 als Joint Venture zwischen Boehringer Ingelheim und dem amerikanischen Unternehmen Genentech, Inc. gegründet. Seit dem Jahr 1993 ist es im alleinigen Besitz von Boehringer Ingelheim.
1967: Die nächste Generation
Der Schritt hin zur nächsten Generation an der Spitze des Unternehmens kündigt sich durch die Aufnahme von Wilhelm Boehringer und Hubertus Liebrecht in die Unternehmensleitung im Jahr 1967 an. Während Wilhelm Boehringer seine Doktorarbeit in Chemie bei Theodor Wieland, dem Sohn des Nobelpreisträgers Heinrich Wieland, geschrieben hat, absolvierte Hubertus Liebrecht eine kaufmännische Ausbildung.
Wilhelm Boehringer und Hubertus Liebrecht bilden die nächste Generation.
Diese beiden Mitglieder der nächsten Generation setzen in den kommenden Jahren ihren beruflichen Hintergrund an der Spitze des Unternehmens ein: Wilhelm Boehringer ist fortan für den Bereich Produktion und Technik zuständig, wobei er früh die Bedeutung der Förderung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erkennt, die mit neuen Ideen in einer sich wandelnden und wachsenden Forschungslandschaft neue Impulse für das Unternehmen geben können. Dies unterstreicht er auch in seiner ersten Rede vor Auszubildenden im Jahr 1967.
Hubertus Liebrecht wird in Nachfolge seines Vaters im Jahr 1971 Vorsitzender der Unternehmensleitung. Ein Jahr später formuliert er seine Vision für das Unternehmen: Er betont unter anderem, wie wichtig es ist, dass das Unternehmen ein forschungsgetriebenes Pharmaunternehmen mit einer globalen Ausrichtung ist. Und er stellt klar: „Boehringer Ingelheim ist ein Familienunternehmen und wird ein Familienunternehmen bleiben“.
1977: Forschungsförderung für Patientinnen und Patienten
Abgesehen von seinen eigenen Forschungsaktivitäten (auf diesem Bild in einem Schulungslabor in Ingelheim), unterstützt Boehringer Ingelheim Forschende auch jenseits der eigenen Standorte. Die Boehringer Ingelheim-Stiftung wird gegründet, um Forschungsaktivitäten in den Bereichen Biologie, Chemie, Medizin und Pharmazie zu fördern. Neben dieser Unterstützung von herausragenden akademischen Forschungstätigkeiten, investiert die Stiftung auch in lokale Forschungsprojekte.
Schulungslabor bei Boehringer Ingelheim in den 1970er-Jahren
Die Gründung der Stiftung im Jahr 1977 ist ein weiterer Meilenstein innerhalb des Engagements von Boehringer Ingelheim zur Unterstützung der Wissenschaft. Es wird nicht der letzte Meilenstein sein. So wurde im Jahr 1983 der Boehringer Ingelheim Fonds (BIF) eingerichtet, eine Stiftung für medizinische Grundlagenforschung.
1985: 100 Jahre Boehringer Ingelheim
Boehringer Ingelheim feiert sein hundertjähriges Jubiläum. Das Unternehmen beschäftigt nun mehr als 22.000 Mitarbeitende und erzielt Umsatzerlöse von mehr als 4,5 Milliarden D-Mark (etwas mehr als 2,3 Milliarden Euro heutzutage). Nur ein Jahr später nimmt das Biotechnikum in Biberach die Produktion auf. Mit einer Investitionssumme von rund 150 Millionen D-Mark (umgerechnet etwa 77 Millionen Euro) stärkt es die Verbundenheit des global tätigen Unternehmens mit seinem deutschen Heimatmarkt. Noch heute ist die Produktionsanlage in Biberach eine der größten ihrer Art in Europa für die Produktion von Biopharmazeutika aus Zellkulturen.
Besuch von Lothar Späth (links), damals Ministerpräsident von Baden-Württemberg, im neuen Biotechnikum in Biberach, 1987. Hubertus Liebrecht (rechts) führt ihn durch die Anlage.
Produkte dieser Zeit
1951
Im Jahr 1951 erfolgt die Einführung von Buscopan, einem krampflösenden Mittel pflanzlichen Ursprungs zur Behandlung von Magen- und Darmerkrankungen. Buscopan® sollte für mehrere Jahrzehnte Teil des Produktportfolios von Boehringer Ingelheim bleiben.
1959
In Biberach erforscht und entwickelt Thomae erfolgreich Persantin, ein Präparat zur Behandlung von koronaren Herzerkrankungen. Dieses Produkt wird für viele Jahre eines der erfolgreichsten verschreibungspflichtigen Produkte sein, die von Thomae entwickelt und hergestellt werden.
1963
Das Unternehmen führt das in Biberach entwickelte Atemwegstherapeutikum Bisolvon ein. Es ist das erste schleimlösende Mittel aus eigener Forschung. Mit der Weiterentwicklung und dem Wirkstoff Ambroxol gelingt den Forschenden ein Durchbruch.
1975
Atrovent® zur Behandlung von chronischen Atemwegserkrankungen wird im Jahr 1975 eingeführt.
1977
Im Jahr 1977 erfolgt die Markteinführung von Asasantin, ein Mittel gegen Thrombose und Embolien.
1979
Gleich zwei Produkte werden im Jahr 1979 eingeführt: Mexitil gegen Herzrhythmusstörungen und Mucosolvan zur Therapie gegen Bronchitis.
1987
Die Markteinführung von Actilyse® im Jahr 1987 markiert einen doppelten Meilenstein für Boehringer Ingelheim: Es ist nicht nur die erste thrombolytische Therapie des akuten Herzinfarkts, sondern auch das erste eigene Präparat des Unternehmens, das im Biotechnikum in Biberach hergestellt wird, das ein Jahr zuvor eingeweiht wurde.
1989
Alveofact, eine Surfactant-Substitution beim Atemnot-Syndrom des Neugeborenen, wird im Jahr 1989 eingeführt.