ZURÜCK INS LEBEN
Anna Higgs hatte im Alter von 24 Jahren einen schweren Schlaganfall, der sie halbseitig lähmte. Jahrelang hat die Britin mit den körperlichen und psychischen Folgen gekämpft. Ihre Erkenntnis: Wenn einem die richtigen Partner zur Seite stehen, fällt der Weg zurück ins Leben leichter.
Anna Higgs hatte sich auf ein schönes Weihnachtsfest gefreut. Am ersten Weihnachtstag des Jahres 2004 feierte sie mit ihrer ganzen Familie im Haus ihres Vaters im englischen Städtchen Harlow nördlich von London. Mit dabei war auch Annas neugeborener Sohn Henry, damals gerade einen Monat alt. Doch plötzlich fühlte sich Anna nicht gut. Sie hatte Schwierigkeiten beim Sprechen, und auch das Laufen fiel ihr schwer. Ihre Familie brachte sie nach Hause und legte sie ins Bett. Erst am folgenden Morgen bemerkte Annas Schwester, dass etwas ernsthaft nicht stimmte, und rief einen Notarzt. Dessen erschütternde Diagnose: Schlaganfall. Im Alter von gerade einmal 24 Jahren.
Während der Weihnachtsfeiertage arbeitete das örtliche Krankenhaus in Harlow nur mit minimaler Besetzung. Eine Untersuchung mit dem Magnetresonanztomographen (MRT) war deshalb dort nicht möglich. Und so wurde Anna für die Notfallbehandlung und erste Untersuchungen in ein weiter entferntes Krankenhaus gebracht. Obwohl ihr Mann Craig, ihre Eltern und andere Verwandte jeden Tag zu Besuch kamen, wuchs bei Anna die Verzweiflung. Sie konnte ihren rechten Arm und ihr rechtes Bein nicht mehr bewegen, auf dem rechten Auge nicht mehr sehen. „Ich war sehr besorgt“, erzählt Anna. „Je mehr mir klar wurde, was da mit mir geschehen war, desto größere Angst hatte ich. Es sah so aus, als ob mein bisheriges Leben vorbei wäre.“ Gern hätte sie sich um ihren kleinen Sohn gekümmert, doch das war nicht möglich. Annas Mann Craig kündigte notgedrungen seine Arbeit, um zu Hause bleiben zu können.
"IRGENDWANN SAGTE MIR EINE DER KRANKENSCHWESTERN, DASS ICH WOHL EINEN ELEKTRISCHEN ROLLSTUHL BRAUCHEN WÜRDE, WENN ICH DAS KRANKENHAUS VERLASSE. DAS HAT MICH TOTAL UMGEHAUEN."
Nachdem die junge Mutter nach zwei Wochen in das Krankenhaus im heimischen Harlow verlegt worden war, bekam sie jeden Tag Physiotherapie. Sie konzentrierte sich zunächst auf das rechte Bein, denn sie wollte möglichst rasch wieder laufen lernen. Doch Fortschritte zeigten sich nur langsam, und Anna musste immer wieder herbe Rückschläge wegstecken – etwa als sie sich mit einem Krankenhauskeim infizierte, der sie weiter schwächte. „Irgendwann sagte mir eine der Krankenschwestern, dass ich wohl einen elektrischen Rollstuhl brauchen würde, wenn ich das Krankenhaus verlasse“, erinnert sich Anna. „Das hat mich total umgehauen.“
Sechs Monate verbrachte sie im Krankenhaus. In ihre alte Wohnung konnte sie danach nicht zurück, denn die lag im dritten Stock. Die Gemeinde fand eine Sozialwohnung im Erdgeschoss. Für Anna begann eine besonders schwere Zeit: Sie musste lernen, trotz ihrer Lähmung im Alltag zurechtzukommen. „Mit einem kleinen Kind war das extrem hart“, berichtet sie. „Ich musste alles einhändig mit der linken Hand machen, auch Henrys Windeln wechseln.“ Obwohl ihre Familie sie nach Kräften unterstützte, fühlte sich Anna allein gelassen. Im Krankenhaus hatten andere sich um alles gekümmert, es gab klare Zeiten für Behandlungen und Physiotherapie. „Doch kaum hatte ich das Krankenhaus verlassen, brach die Kommunikation total ab.“ Von einem Moment auf den anderen musste Anna alles alleine schaffen.
HELFENDE ENGEL
Schlaganfälle sind rund um den Globus auf dem Vormarsch. In den vergangenen 20 Jahren ist die Zahl der Patienten deutlich gestiegen. Allein im Jahr 2013 waren weltweit 10,3 Millionen Menschen betroffen. Viele Patienten haben keinen Zugang zu einem spezialisierten Krankenhaus und erhalten deshalb nicht die optimale Behandlung und Pflege. Experten schätzen, dass etwa alle 30 Minuten ein Schlaganfallpatient stirbt oder schwere Folgeschäden davonträgt, der in einem spezialisierten Krankenhaus hätte gerettet werden können. Boehringer Ingelheim hilft, diese Situation zu ändern. Die „Angels Initiative“ des Unternehmens arbeitet mit führenden Organisationen und Experten zusammen, um Patienten in aller Welt einen besseren Zugang zu spezialisierten Schlaganfall-Krankenhäusern zu verschaffen.
Das Ziel der Initiative ist es, bis zum Jahr 2019 ein Netzwerk aus mindestens 1.500 neuen Schlaganfallzentren und spezialisierten Krankenhäusern alleine in Europa zu bilden. Dazu schult die Initiative Krankenschwestern und -pfleger zu Schlaganfallspezialisten, bietet ein Simulationstraining an und Stattet Krankenhäuser mit einer Schlaganfall-Box aus, getreu dem Motto der „Angels Initiative“: „Giving life a chance“.
Es folgte ein völliger psychischer Zusammenbruch. Zwei Jahre lang ging die junge Frau nicht mehr aus dem Haus. „Ich hatte alle Hoffnung aufgegeben“, sagt sie. „Und ich hatte große Angst, noch einen weiteren Schlaganfall zu bekommen.“ Genau das passierte auch, allerdings war der zweite Schlaganfall weniger schwer als der erste.
Der Wendepunkt kam, als sich Anna entschied, ein Antidepressivum zu nehmen. Damit ging es langsam bergauf, ihre tiefe Verzweiflung rückte in den Hintergrund. Und Anna fand die Kraft zu kämpfen. Mit eiserner Disziplin arbeitete sie daran, die Kontrolle über ihr rechtes Bein zurückzugewinnen. „Mein Sohn hat mir dabei geholfen“, erzählt sie. „Ich wollte mit ihm so umgehen können wie jede andere Mutter mit ihrem Kind, das war mein Antrieb.“ Der Kampf um die Kontrolle über das Bein war erfolgreich, heute kann Anna wieder normal laufen. Bei ihrem rechten Arm verlief die Physiotherapie dagegen enttäuschend, sie kann ihn noch immer kaum bewegen. „Ich habe irgendwann aufgegeben, weil meine Kraft erschöpft war“, berichtet die 36-Jährige. Vor einigen Jahren hat sie sich den rechten Arm komplett tätowieren lassen. „So sieht er wenigstens gut aus, wenn ich ihn schon nicht benutzen kann“, scherzt sie. Anna hat sich zurück ins Leben gekämpft. Trotz ihrer körperlichen Beeinträchtigung begann sie vor einigen Jahren mit dem Tanzen. Inzwischen organisiert sie eine jährlich stattfindende Tanz- und Kabarettshow zugunsten einer Schlaganfall- Selbsthilfegruppe.
Der Kampf um die Kontrolle über das Bein war erfolgreich, heute kann Anna wieder normal laufen.
Der Rückhalt ihrer Familie und besonders die Partnerschaft mit ihrem Mann Craig haben Anna geholfen, sich aus dem tiefen Loch zu befreien, in das sie nach dem Schlaganfall gefallen war. Der Weg zurück in ein zufriedenes und selbstbestimmtes Leben wäre ihr allerdings wesentlich leichter gefallen, wenn sie sich auch stärker auf professionelle Partner hätte verlassen können. „Wer nach einem schweren Schlaganfall aus dem Krankenhaus entlassen wird, braucht dringend ein Netz, in das er fallen kann“, sagt sie. Der Patient braucht Ärzte, Pfleger und Therapeuten, die miteinander kommunizieren, sich untereinander abstimmen und einen gemeinsamen Plan verfolgen. Anna hat am eigenen Leibe erlebt, dass Patienten in einer solchen Situation kaum in der Lage sind, sich selbst um all das zu kümmern.
"ICH KONNTE TROTZ MEINER SCHWIERIGEN LAGE VIELE DINGE SELBST VORANBRINGEN UND ORGANISIEREN."
Trotz der schlimmen Erfahrung denkt Anna rückblickend, dass sie im Vergleich zu anderen sogar Glück gehabt hat. „Weil ich so jung war, habe ich sicher mehr Hilfe und Aufmerksamkeit erhalten als ältere Patienten.“ Das galt nicht nur in Bezug auf Ärzte und Therapeuten, sondern auch in Bezug auf Freunde. Erst kürzlich haben Bekannte 2.000 Pfund gesammelt, um ein Gerät für Anna zu kaufen, das mit elektrischen Impulsen hilft, die Muskeln in ihrem rechten Bein zu stärken. Doch Anna weiß, dass sie selbst einen großen Anteil daran hatte, dass sie heute wieder ein Leben führt, das sie genießen kann. „Ich konnte trotz meiner schwierigen Lage viele Dinge selbst voranbringen und organisieren, denn ich bin zum Glück ein sehr offener und direkter Mensch.“