„Jetzt passt es!“
Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität – was hat das mit der Arbeit zu tun? In der heutigen Zeit so einiges, finden wir. Erst 1990 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO Homosexualität von ihrer Liste der Krankheiten gestrichen. In den knapp drei Jahrzehnten seit diesem Tag hat sich vieles zum Positiven verändert – doch völlige Chancengleichheit für Lesben, Schwule, Bi*- Trans* Inter*- und Queere Menschen ist nach wie vor nicht gewährleistet.
Boehringer Ingelheim tritt für eine Kultur ein, in der Vielfalt wertgeschätzt wird, egal ob auf Grund von Geschlecht, kulturellem Hintergrund, Alter, Behinderungen, oder auch sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität: Das unternehmensinterne Regenbogen Netzwerk engagiert sich dafür, „buntes“ Leben bei Boehringer Ingelheim sichtbarer zu machen und bietet unseren LGBTIQ+-Kolleg*innen einen geschützten Raum, um gemeinsam Erfahrungen und Sichtweisen auszutauschen. In unserer LGBTIQ-Interviewreihe erzählen Kolleg*innen aus den Regenbogen Netzwerken in Ingelheim und Biberach von ihren Erfahrungen als lesbische, schwule, oder transidenten Mitarbeitende bei Boehringer Ingelheim. Lernen Sie Alice Oehninger kennen, transidente Mitarbeiterin bei Boehringer Ingelheim in Biberach. Ein Interview aus dem Jahr 2017.
Frau Oehninger, was ist derzeit Ihre Aufgabe bei Boehringer Ingelheim?
Ich bin vollamtliche Ausbilderin für Biologielaboranten. Dabei betreue ich einen jeweiligen Jahrgang unserer Nachwuchskräfte, vom Einstellungsgespräch bis zur Abschlussprüfung, und immer mal wieder darüber hinaus. Ich verstehe mich als Lerncoach, die die Fähigkeiten und Talente unserer Jugendlichen erkennt und fördert. Im Sinne einer ganzheitlichen Persönlichkeitsbildung bin ich Vertrauensperson und stehe unseren Schüler*innen beratend zur Seite. Ich bin erste Anlaufstelle und Ansprechpartnerin, wenn Herausforderungen auftreten, sei es im kognitiven Lernbereich, im organisatorischen, oder im disziplinären Zusammenhang.
Sie sind Transident. Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrem Berufsleben bislang mit einem Outing am Arbeitsplatz, bei Führungskräften, oder Kolleg*innen, gemacht?
Ich kann mich nur wenig in dem Begriff „Outing“ wiederfinden. Ich habe keinen schwulen Freund, keine lesbische Freundin, die ich im Versteckten treffe. Ich bin eine Frau, die erfolgreich viele Jahre eine männliche Rolle gelebt hat, weil das meine biologische Veranlagung so vorgegeben hat. Ich habe für mich entschieden, dass ich mehr vom Leben habe, mehr im Gleichgewicht bin, wenn ich ein Leben nach meinem Wesen – meiner weiblichen Identität – führe. Ich habe erfahren, dass enorm viel Offenheit, Respekt und guter Wille da ist. Mein ganzes Umfeld ist mir fast ohne Ausnahme positiv begegnet und hat mir auf allen Ebenen sehr viel Unterstützung und Empathie entgegengebracht. Ich habe daher überaus viele Gründe, dankbar zu sein. Was mein Umfeld bei Boehringer Ingelheim auszeichnet, Führungskräfte, Kollegium und Schüler*innen, ist die große Bereitschaft, mit mir zusammen zu lernen und sich auf Neues einzulassen.
Was war das positivste Erlebnis, dass Sie bei einem Outing am Arbeitsplatz je erlebt haben?
Dass mich langjährige Kolleg*innen und Freunde ganz verdutzt angesehen und innegehalten haben – und dann freudestrahlend feststellten: „Ja, stimmt! Jetzt passt es!“. Aber auch, dass ehemalige Schüler*innen, die die Ausbildung schon lange abgeschlossen haben, auf mich zugekommen sind und mich bestärkt und unterstützt haben.
Inwiefern spielen sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität im alltäglichen Leben bei Boehringer Ingelheim eine Rolle?
Die einfache Antwort wäre: keine. Aber das ist zu oberflächlich. Ich glaube, dass ich meine Rolle als Mann zum Besten meiner Fähigkeiten gelebt habe und in jeder Situation alles gegeben habe, was in meiner Kraft stand. Ich habe durch meinen Lebensweg viel gewonnen und dazugelernt. Heute ein Leben als Frau zu leben, mir selbst zu erlauben, ich zu sein, ist eine Befreiung. Es hat enorm viel an Ressourcen und Einfühlungsvermögen freigesetzt, hat viel an Beweglichkeit und Einblick gebracht. Ich bin heute um viele Erfahrungen reicher.
Wie sind Sie in Kontakt mit dem Regenbogen-Netzwerk bei Boehringer Ingelheim gekommen und in welcher Form engagieren Sie sich dort?
Das Thema Diversity & Inclusion hat mich auch ohne meine Transidentität ein Leben lang bewegt und beschäftigt. Ich bin viel in der Welt herumgekommen und habe viele verschiedene Kulturen kennengelernt. Mit Leuten wie Denise Hottmann bin ich schon sehr lange in Kontakt. Ich war mit an der Idee beteiligt, in Biberach ein Regenbogen Netzwerk aufzubauen. Heute stehe ich als Ansprechpartnerin im Netzwerk zur Verfügung, wenn jemand Beratung braucht zu den Themen Trans-Identität und Intersexualität.
Was kann das Regenbogen Netzwerk aus Ihrer Sicht leisten? Warum lohnt es sich, dort mitzumachen?
Das Netzwerk kann vermitteln und verbinden; das Netzwerk kann Menschen beraten, kann sie in ihrem Selbstbewusstsein stärken und unterstützen. Und es kann deutlich zeigen: Du bist nicht allein, Du musst das nicht alleine tragen. Gleichzeitig hoffe ich, dass unsere Regenbogen Gruppe zeigen kann, dass wir eine Bereicherung anbieten.
Was können Mitarbeitende, die sich im Regenbogen Netzwerk engagieren, für das Unternehmen Boehringer Ingelheim tun?
Jeder Mensch hat seine Fähigkeiten und Ressourcen, die aus der Lebenserfahrung kommen. Damit verbunden hat jeder Mensch seinen blinden Fleck. Ich behaupte vorsichtig, die blinden Flecken der Regenbogengemeinschaft sind woanders als die der heteronormen Bevölkerung. In der Gemeinsamkeit liegt die Bereicherung, denn dadurch werden Chancen geschaffen. Die Mischung macht es möglich zu Ergebnissen zu kommen, die wirklich neu und überragend sind. Zusammen sind wir in der Lage, Beiträge zu leisten, die außerhalb des Gewöhnlichen sind.
Was wünschen Sie sich im Hinblick auf die Arbeit des Netzwerkes und die Sichtbarkeit von LGBTIQ bei Boehringer Ingelheim?
Ich wünsche mir, dass es tatsächlich nicht wichtig ist, was ich bin. Dass meine geschlechtliche Identität kein maßgebender Faktor ist. Ich wünsche mir, dass ich die Wertschätzung erfahre für den Beitrag, den ich leisten kann; für die Intuition und für die Fähigkeiten, die ich mitbringe – die zufällig andere sind, als bei jemand anderem.
Welchen Tipp würden Sie neuen LGBTIQ-Mitarbeitenden bei Boehringer Ingelheim mit auf den Weg geben, die sich am Arbeitsplatz bislang noch nicht geoutet haben?
Boehringer Ingelheim gehört zu den Unternehmen die sich klar zu Vielfalt und Gleichberechtigung bekennen. Wo also gibt es die Chance sich zu outen, wenn nicht bei uns?
Wir sind offen und multi-kulturell.
Wir sind bunt – die Mittagszeit im Betriebsrestaurant zeigt es.
Wir sind neugierig – hier gehen Menschen aufeinander zu.
Ja, es gehört Mut und Überwindung dazu. Jeder Mensch braucht Mut, die eigene Komfortzone zu verlassen. Ich habe für mich festgestellt, ich bin es mir wert. Und meine Freund*innen, Kolleg*innen sind es mir wert, dass ich so bin wie ich bin.