Wie der Boehringer Ingelheim Venture Fund Start-ups bei ihrer Gründung unterstützt und fördert
Rekordinflation, Zinserhöhungen, gesenkte Wirtschaftswachstumsprognosen und die Erwartung einer bevorstehenden Rezession: Die Start-up-Finanzierung wird auch in der bei Investoren beliebten Biotech-Branche in den kommenden Monaten und Jahren nicht einfacher. Laut Datenanbieter Crunchbase werden die Investitionen 2022 voraussichtlich um mindestens ein Drittel unter dem Vorjahresniveau liegen. Schwierig wird es besonders für Gründende, die noch ganz am Anfang ihrer Forschungen stehen. Denn für Investoren gilt: Je früher die Beteiligung erfolgt, desto größer ist das Risiko. Das sind gerade institutionelle Investoren wie „klassische“ Venture Fonds und Kreditinstitute unter den derzeitigen wirtschaftlichen Bedingungen oftmals nicht bereit zu tragen – auch, weil eine mögliche Rendite in zu weiter Ferne liegt.
Doch welche Investoren sind das dann, die bereits in innovative Forschungsvorhaben und nicht erst in profitable Unternehmen investieren? Der klassische Investmentbanker im Nadelstreifenanzug ist es also zumeist nicht. Trifft man auf Dr. Frank Kalkbrenner, Globaler Leiter des Boehringer Ingelheim Venture Fund (BIVF), zeigt sich ein Mann mit graumelierten Haaren und einem legeren Sakko und Jeans bekleidet. Auf die Turnschuhe habe er heute verzichtet. In einem Atemzug erklärt der Mediziner die Bedeutung der angeborenen und adaptiven Immunität in der Immun-Onkologie, im nächsten spricht er über den Prozess der Investitionsbewertung von Unternehmen in diesem Bereich.
Kurz und bündig: Was ist der BIVF?
Getrieben von wissenschaftlichen Daten
Im Jahr 2010 startet der BIFV mit den ersten Investments. „Seitdem haben wir 64 Investments getätigt, in 57 Firmen investiert (davon in 40 seit der Gründungsphase) und 7 sogenannte fund-in-fund Investments durchgeführt sowie eine Reihe von Exits – Börsengänge und Verkäufe – vollzogen,“ resümiert Kalkbrenner. „Wir analysieren für die Auswahl vor allem wissenschaftliche Daten. Finanzkennzahlen sind – anders als bei klassischen Venture Fonds – für uns erstmal zweitrangig. Denn wir investieren nicht nur in Biotech-Unternehmen, wir bauen diese vorrangig selbst mit auf. Das heißt, wir identifizieren akademische Gruppen, die sich Fragestellungen oder Technologien annehmen, die sich mit der Langzeit-Innovationsstrategie von Boehringer Ingelheim decken. Wir arbeiten für das Ziel, dass aus den Projekten in einem Zeitraum von fünf bis acht Jahren eine große Produktinnovation entsteht, die dann eventuell zu unserer klinischen Entwicklungspipeline beitragen kann.“
Schwerpunktbereiche des BIVF-Portfolios
Deshalb erfolgen die Investments in Start-ups, die sich einer der zwei Bereiche annehmen: Therapeutika in den Bereichen Immunonkologie, Regenerative Medizin sowie Anti-Infektiva gerichtet gegen bakterielle Infektionen oder Technologien für die digitale Gesundheit. Das Fondsvolumen von 300 Millionen Euro ist „evergreen“ – das heißt, sein Gründungsvolumen soll über die Jahre erhalten bleiben. „Damit das so bleibt, werden die Gewinne aus den Exits reinvestiert und nicht an unsere Shareholder ausgeschüttet. Bei einem Familienunternehmen wie Boehringer Ingelheim ist das möglich, da unsere Shareholder in Generationen denken und wir langfristig planen können. Um das Risiko solch früher Investments zu minimieren, bilden wir auch Syndikate um mit anderen – zumeist staatlichen Investoren oder weiteren Corporate Venture Funds – zusammen zu investieren“, erläutert Kalkbrenner. In der Regel werden mit dem ersten Investment 20-30 Prozent Anteil an der jungen Firma erworben.
Was bringen wir in die Partnerschaft mit unseren Portfoliounternehmen ein?
Für ein Investment des BIVF erhalten wir einen Sitz im Aufsichtsrat und können dadurch gemeinsam mit den Start-ups agieren. Die Start-up-Unternehmen profitieren dadurch von der langfristigen strategischen Perspektive und Erfahrung eines Unternehmens in Familienbesitz, mit welchem sie Forschung und Entwicklung (F&E) gemeinsam vorantreiben können. „Um schnell auf den Markt zu kommen, müssen sich Biotechs verstärkt auf die präklinischen und klinischen Entwicklungsabläufe konzentrieren, frühzeitig planen und Wege finden, um das Risiko in der Entwicklung zu senken. Dabei helfen ihnen unsere erfahrenen Mitarbeitenden des Venture Funds, die in der Regel aus der Boehringer Ingelheim F&E Organisation rekrutiert wurden“, sagt Kalkbrenner. „Wir unterstützen außerdem bei Lizenzverhandlungen mit Universitäten, bei der Firmenführung und bei der Syndikatsbildung für weiteren Finanzierungsrunden. Und das in allen möglichen Ländern Europas sowie auch in UK, Kanada, USA, China und Singapur.“
Globales Team mit umfangreicher Expertise
Recherchen nach Investment-Opportunitäten nimmt das globale Team, welches in Deutschland, USA und China sitzt, permanent vor und trifft die Entscheidungen auch in diesem globalen Team in wiederkehrenden Videokonferenzen. Zweimal im Jahr trifft sich das ganze Team an einem Ort und diskutiert über die Investmentstrategie in den verschiedenen Bereichen und überprüft das Firmen-Portfolio aus allen Perspektiven: „Wir benötigen für die initiale Entscheidungsfindung keinen Sponsor in der Forschung wie dies in anderen Corporate Venture Funds häufig der Fall ist. Wir können aufgrund unserer eigenen Erfahrung Vorschläge für Investments an unser Investmentkomitee herantragen,“ so Kalkbrenner über die Entscheidungsprozesse und Strukturen des Venture Funds.
In dem Investmentkomitee sitzen sowohl Michel Pairet, Leiter der Innovation Unit und Mitglied der Unternehmensleitung Innovation, Michael Schmelmer, Mitglied der Unternehmensleitung IT/HR/Legal und Finanzen, Paola Casarosa, Leiterin Therapiegebiete, Uli Brödl, Leiter Clinical Operations, Jochen Gann, Leiter Corporate M&A, als auch Kalkbrenner selbst. Die Auswahl der passenden Investmentopportunitäten ist arbeitsintensiv, aber ebenso erkenntnisreich: „Wir führen jedes Jahr Hunderte von Gesprächen mit Start-ups, sind mit Hunderten von Geschäftsplänen konfrontiert. Deshalb erkennen wir aber auch bahnbrechende Trends viel früher als die breite Öffentlichkeit,“ sagt Kalkbrenner.
Das Portfolio wird weiterwachsen
Die Beteiligung des BIVF ist in der Regel auf fünf bis sieben Jahre angelegt. Danach ist die Portfolio Firma in der Regel so weit, dass das Produkt oder die Technologie von uns einlizenziert oder die Firma ganz übernommen werden könnte. Zumeist wird jedoch ein Exit angestrebt – das ist durch die große Anzahl an Portfoliounternehmen bedingt. In den vergangenen Jahren wurden fünf Portfolio Firmen von uns akquiriert, fünf weitere wurden an andere Unternehmen verkauft und ein Start-up hat erfolgreich einen Börsengang in den USA vollzogen. Natürlich scheitert auch das eine oder andere Unternehmen.
„Wir haben uns über die Zeit ein sehr reifes Portfolio aufgebaut. Es wird somit immer schwieriger für uns, die sogenannten „weißen Flecken“ zu identifizieren, d.h. Technologien, die als strategisch wichtig erachtet werden, aber noch nicht im Portfolio abgebildet sind,“ sagt Kalkbrenner zur Zukunft des BIVF. Wachsen wird das Investment-Portfolio zukünftig trotzdem – auch in die Breite: „Wir evaluieren momentan auch die Möglichkeit den Venture Fund in den Bereich Animal Health auszuweiten.“