Mit sich im Reinen

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Karin Jehle ist kaufmännische Sachbearbeiterin in Biberach. Sie ist seit 1989 im Unternehmen und derzeit im Bereich der nichtklinischen Arzneimittelsicherheit, der Nonclinical Drug Safety, in Research & Development beschäftigt. Ihrer Arbeit geht Jehle „am Rand des Werks“ nach – am Rand steht sie jedoch nur geographisch, denn die ruhig und überlegt auftretende Frau engagiert sich im Regenbogen Netzwerk in Biberach und lässt gar keine Zweifel aufkommen, dass sie ganz selbstverständlich ein Teil unserer Gemeinschaft im Unternehmen ist.

Ein Interview aus dem Jahr 2017.

 

Karin Jehle

"Das Regenbogen Netzwerk kann dabei unterstützen, mit sich selbst in Einklang zu kommen. Mein Motto ist: Gib allen mindestens so viel Zeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, wie du selbst dafür benötigt hast," sagt Karin Jehle.

Frau Jehle, Sie gehen ganz offen mit Ihrer sexuellen Orientierung um. Welche Erfahrungen haben Sie als geoutete Mitarbeiterin bei Boehringer Ingelheim gemacht?

In meiner „heterolesbischen“ Lebenszeit vor meinem Outing in der Firma war ich Teil einer aktiven Lesbengruppe, in der ich viele Gleichgesinnte getroffen habe. Dort habe ich gemerkt, wer ich bin und mein inneres Gleichgewicht, meine Ausgeglichenheit gefunden. Danach kam mein Outing recht schnell.

Zu Beginn meiner Beschäftigung bei Boehringer Ingelheim habe ich in der Produktion gearbeitet. 1996 bis 1998 habe ich meine zweite Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation erfolgreich abgeschlossen. Die Möglichkeit dazu ergab sich für mich im Rahmen von Umstrukturierungen im Unternehmen und wir waren eine Klasse von 12 erwachsenen Mitarbeiterinnen von Boehringer Ingelheim. Zu dieser Zeit hatte ich meine erste Freundin. Aus meiner sexuellen Orientierung habe ich damals kein Geheimnis gemacht. Denn je klarer ich mit mir selber war, desto einfacher war es auch für meine Gesprächspartner*innen, mich so anzunehmen, wie ich bin. Später habe ich als Fachverantwortliche in der Nonclinical Drug Safety (damals noch Toxikologie) angefangen. Dort habe ich mich von Anfang an als lesbisch geoutet und keine Nachteile erlebt.

Ich tausche mich offen mit Kolleg*innen und Führungskräften aus und erhalte dabei offene und interessierte Fragen zu meinem Leben. Aber auch bei privaten Treffen, etwa beim Grillen, erlebe ich den gleichwertigen Umgang. Ich spreche ganz selbstverständlich von meiner Partnerin, betone es aber auch nicht extra. Eine neue Kollegin hatte beispielsweise bereits im Vorfeld erfahren, dass ich lesbisch bin und sagte mir dann als wir uns begegneten: „Ach ja, das wusste ich schon, bevor ich dich kannte“. Das war nichts Besonderes für mich und ich finde es positiv, wenn ich mich nicht selbst outen muss – so wie ich übergewichtig bin, gehört das bei mir eben dazu.

Sie engagieren sich im Regenbogen Netzwerk in Biberach. Wie kam es dazu?

Das erste Mal bin ich auf das Regenbogen Netzwerk auf dem Marktplatz der Netzwerke in Biberach aufmerksam geworden, bei dem sich die verschiedenen Mitarbeitenden-Initiativen vorgestellt haben. Ich bin dann zum ersten Regenbogentreffen in Biberach gegangen, nachdem ich in unserem Intranet davon erfahren hatte. Zuerst dachte ich, das sei nur ein Freizeittreffen. Dann war es aber ganz anders – und es macht auch ohne Tanzen Spaß (lacht). Mich motiviert es, in der Community von Boehringer Ingelheim als Lesbe sichtbar und präsent zu sein. Ähnlich wie beim Betriebsrat ist beim Regenbogen Netzwerk das Sich-Einsetzen für andere und das solidarische Handeln wichtig. Auch das deutsche Management unterstützt uns und steht sichtbar hinter uns, was sehr wichtig ist.

Wieso ist das Regenbogen Netzwerk wichtig?

Es gibt immer Phasen der Selbstfindung, und das Netzwerk kann den Menschen dabei helfen. Wichtig ist, sich zu trauen, dort hinzukommen. Wir veranstalten keine Einzel-Treffen für jeden LGBTIQ+-„Buchstaben“, also separate Treffen für Lesben, Schwule, Bi*-, Trans*-, Inter*- oder Queer Menschen. Stattdessen sollen sich alle Beteiligten in dieser Gemeinschaft, aber auch alle interessierten Verbündeten, sogenannte „Straight Allies“ willkommen fühlen und hier Toleranz und Akzeptanz zu sich und anderen erleben. Denn diese sind ein Grundbaustein für das Miteinander, bei Boehringer Ingelheim und außerhalb.

Alle – auch ich – haben individuelle Toleranzgrenzen. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist für mich das Thema Übergewicht: Wer mit sich im Reinen ist und sich selbst toleriert wird auch von anderen toleriert.Wichtig ist, dass niemand zum Outing gedrängt wird. Alle sollen selbst entscheiden können, wo, wann und bei wem sie sich outen möchten.

Was würden sie Freund*innen und Kolleg*innen raten, die sich sorgen, auf Ablehnung zu stoßen?

Wir sollten kein Versteckspiel leben (und ich kann auch nur sehr schlecht lügen). Mein Outing war offen und frei. Es ging mir gut, und ich wollte es der ganzen Welt mitteilen. Wichtig ist, sich selbst zu akzeptieren. Die Leute sind erfahrungsgemäß offen. Meine Mutter war anfangs nicht begeistert, aber ich habe gerade bei älteren Menschen die Erfahrung gemacht, dass sie viel offener sind, als vielleicht zunächst angenommen. 

Das Regenbogen Netzwerk kann dabei unterstützen, mit sich selbst in Einklang zu kommen. Mein Motto hierbei ist: Gib allen mindestens so viel Zeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, wie du selbst dafür benötigt hast. Wenn homophobe Kommentare kommen, rate ich, nicht gleich defensiv zu reagieren. Besser ist es, nachzufragen und Aufklärung zu leisten. Empathie spielt dabei eine sehr wichtige Rolle und ich versuche, mich in mein Gegenüber hineinzufühlen und einen offenen Dialog zu führen. Denn Wertschätzung bedeutet, respektvoll miteinander umzugehen, auch wenn Widerstand aufkommt.

 

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